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Maximilian Nickert berichtet:

Mein Auslandsschuljahr 2019/2020 in Faenza

Ein ungewöhnliches Jahr !

Fortsetzung: Unterricht In Deutschland, und vor allem am LGH, sind wir sehr verwöhnt, was den Unterricht angeht. Dessen bin ich mir in Italien und später dann, als ich ans LGH zurückkam, bewusst geworden. In Italien dominiert nämlich der Frontalunterricht. Gruppenarbeiten oder lebendige Diskussionen sind eine Seltenheit. Bevor ich nach Italien gegangen bin, konnte ich mir eine Unterrichtsstunde ohne Exkurse oder Diskussionen überhaupt nicht mehr vorstellen. Die Umstellung im Unterricht war definitiv die größte von allen. Außerdem wird in Italien vom Schüler eine ganz andere Einstellung erwartet. Während einem in Deutschland Hausaufgaben aufgegeben werden und dir genau gesagt wird, was genau du zu tun hast, wird in Italien von dir verlangt, dass du dich selbstständig hinsetzt und dir die Sachen zur Not auch vollkommen autonom erarbeitest. Das klingt jetzt so, als ob sich die italienischen Lehrer nicht um ihre Schüler kümmern würden. Das will ich damit aber absolut nicht sagen. Die Schüler sind einfach nur von klein auf an eine andere Art des Lernens gewöhnt worden und kommen mit dieser auch gut klar. Für mich war es trotzdem schwer, mich an diese neue Art zu gewöhnen. Das haben meine Lehrer in Italien leider auch bemerken müssen. Zu Beginn war es aber auch sehr schwierig für mich, dem Unterricht zu folgen. Es ist nämlich so, dass sich jeder Schüler für jedes Jahr seine Schulbücher selbst kauft. Das „Schulbuchsystem“ wie es in Deutschland existiert, gibt es in Italien nicht. Jeder bringt also sein Buch in den Unterricht mit und macht sich Notizen im Buch zu den aktuellen Themen. Arbeitsblätter, Fotokopien oder Tafelaufschriebe gibt es nicht. Das Problem am Anfang des Schuljahres war, dass meine Klasse in fast allen Fächern noch Themen aus dem vergangenen Jahr nachholen musste. Das heißt im Endeffekt hatte ich keine Unterrichtsmaterialien außer dem, was ich aus dem Unterricht mitnehmen konnte. Das war aber nicht so viel, da 2 Stunden Frontalunterricht für mich in Deutsch schon zu viel sind – und dann war es ja auf Italienisch. In den Weihnachtsferien hat es dann „Klick“ gemacht und danach habe ich angefangen, konsequent so zu lernen, wie es in Italien verlangt wird. Da habe ich auch gemerkt, wie unfassbar viele Themen im Unterricht behandelt werden. Und dadurch, dass man so viel Zeit hat, individuell zu lernen, hat man später im Unterricht viel mehr Zeit, das aktuelle Thema zu vertiefen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass ich (zumindest in den geisteswissenschaftlichen Fächern) aus dem Auslandsjahr in Italien mehr mitgenommen habe als in einem Jahr am LGH. Einen weiteren großen Unterschied stellen die Abfragen dar. In Italien gibt es nicht nur Tests und Klassenarbeiten, sondern auch Abfragen. Und zwar nicht solche, wie man sie aus den Fremdsprachen kennt, wo man 5 Minuten Vokabeln abgefragt wird. Dort geht das 30 Minuten und man redet zum Beispiel in Philosophie über Themen wie Descartes und Spinoza oder ein paar Kapitel aus Dantes Purgatorio. Das hört sich zwar neu an, aber scheint nicht wie eine all zu große Umstellung. Das dachte ich zumindest zu Beginn. Doch im Endeffekt war das vielleicht die Umstellung, mit der ich am härtesten zu kämpfen hatte. Jetzt am Ende dieses Jahres bin ich aber überzeugt davon, dass diese Art der Leistungsüberprüfung mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt. Das erste, was mir aufgefallen war, ist, dass die Hälfte (oder meistens sogar noch mehr) der Klasse ohne Beschäftigung im Klassenzimmer sitzt. Natürlich wird von ihnen erwartet, dass sie etwas Sinnvolles machen und lernen. Aber mal ganz im Ernst, auch Sie werden sich jetzt denken: „conosco i miei polli“. Das wäre auch in Deutschland nicht anders: Nur wenige lernen konsequent und produktiv. Das heißt aber nicht, dass alle sinnfreies Zeug machen. Man organisiert sich, was genau man jetzt heute Nachmittag daheim lernen wird, oder fragt den, der immer weiß, was zu lernen ist, was denn jetzt genau zu lernen ist, oder man hört bei der Abfrage zu, um zu wissen, was dem Lehrer denn jetzt besonders wichtig ist: Sind es eher die Zusammenhänge oder ist es vielleicht gerade wichtiger, die Fachbegriffe zu kennen, weil man später in komplexeren Sachverhältnissen noch einmal darauf zurückkommt. Des Weiteren hat der Lehrer mehr Freiheiten. Es ist ihm überlassen, ob die Abfrage verläuft wie eine klassische Abfrage (Frage-Antwort), oder ob es eine freie Diskussion zwischen den Schülern ist. Dabei ist die Aufgabenstellung neben „Spiegami…“ meistens „Fammi un discorso…“. Wenn der Schüler so frei reden kann, merkt der Lehrer, in welchen Bereichen der Schüler sein Wissen vertieft hat und kann den Diskurs in diese Richtung lenken. Das funktioniert leider auch andersherum. Aber das ist eben das Ding mit den Freiheiten. Mehr Freiheit bedeutet sowohl mehr Freiheit, Gutes zu tun als auch mehr Freiheit, Schlechtes zu tun. Das ist in Italien aber generell so. Man nimmt sich die Freiheit einfach. Nach der Theorie von Thomas Hobbes würden sich die Menschen jetzt die Köpfe einschlagen. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Man nimmt sich die Freiheit, um sein Ziel effektiver verfolgen zu können. Ein kleines Beispiel: In Deutschland kann ein Lehrer einen Schüler nicht dazu zwingen, beim Online-Unterricht die Kamera anzuschalten. Das ist in Italien nicht anders. Trotzdem machen das einige Lehrer. Das ist aber keiner bösen Absicht geschuldet, sondern hat einfach nur den Hintergrund, dass der Lehrer seiner Aufgabe nachkommen will: den Bildungsauftrag zu erfüllen. So kann der Lehrer sichergehen, dass ich wirklich da bin und nicht nebenher an der Playstation zocke. Oder in der Abfrage kann er so sichergehen, dass ich nicht ablese. Natürlich gibt es auch in Italien den Fall, dass einer eine schlechte Internetverbindung hat und er deswegen seine Kamera nicht anmachen kann, das wird dann auch berücksichtigt. Außerdem will ich die italienischen Lehrer nicht als böse Kreaturen darstellen, die die Privatsphäre der Schüler ohne Grund einfach so ignorieren. Das sind sie nämlich definitiv nicht! Familie, Fußball und Freizeit Gleich im Oktober war der 18. Geburtstag von Alvises Cousine. Sie hat groß in Bologna gefeiert und da sind wir dann natürlich auch hin. Das Motto waren die 1920er-Jahre und wirklich alle Gäste haben sich entsprechend in Schale geschmissen. Was für mich aber noch viel beeindruckender war, war das Wochenende, an dem wir nach Venedig sind. Alvises Familie kommt aus dem Veneto und sein Vater hat auch eine Zeit lang in Venedig gewohnt. Als wir bei seinen Großeltern zu Besuch waren (etwa eine Stunde mit dem Zug von Venedig entfernt), sind wir einen Tag nach Venedig und Alvise und sein Vater haben mir eine Führung gegeben. Markusen inklusive (da Alvises Eltern dort geheiratet haben, haben Sie dort immer freien Zugang – ohne stundenlanges Anstehen in der obligatorischen Warteschlange). Das war schon ziemlich cool. Von der ersten Woche an bin ich drei Mal die Woche ins Fußballtraining gegangen. Dort wurde ich sofort super aufgenommen. Ich habe mich vom ersten Tag an bemüht, einen Spielerpass zu beantragen, aber bis heute hat das leider nicht geklappt. Die italienische Bürokratie ist wirklich sehr beeindruckend. Bisher habe ich das eigentlich nur von der deutschen gedacht. Im Winter haben wir dann weniger gemacht, was einfach dem schulischen Stress (vergleichbar mit unserer Klausurenphase vor Weihnachten) und dem miesen Wetter geschuldet war. Als es dann wärmer wurde, haben wir auch schon angefangen zu planen, was wir im Frühjahr alles machen wollen und waren auch schon zwei oder drei Mal mit der Familie in den campagna spazieren. Das war aber auch schon Ende Februar und was dann passiert ist, ist ja bekannt… Corona Leider hat mir nämlich am 23.2.20 Corona einen Strich durch meine Pläne gemacht: Von jetzt auf nachher wurden per Dekret die Schulen geschlossen und die Situation in Italien war gerade zu Beginn besorgniserregend und die weitere Entwicklung einfach nur schwer einzuschätzen. Zusammen mit meinen Eltern haben wir dann beschlossen, dass ich ich erstmal nach Deutschland zurückgehe. Von dort aus habe ich dann vom ersten Tag an den Unterricht per Online-Videokonferenzen weitergemacht – mit dem schönen Nebeneffekt, dass ich meine Klasse weiterhin jeden Tag gesehen habe. Wie es der Zufall will, haben die Grenzen während der letzten Italien-Schulwoche wieder aufgemacht. So bin ich zusammen mit meinen Eltern zu meinem letzten Schultag nach Faenza gefahren und konnte noch einmal ein Wochenende bei Alvise verbringen und so auch den letzten Schultag zusammen mit ihm vor dem PC erleben. Zusammen mit ein paar Klassenkameraden haben Alvise und ich dann abends den Ferienbeginn in der Stadt gefeiert. Am nächsten Morgen haben wir uns mit der professoressa Monti in einem Café getroffen, so konnte ich mich sogar auch von ihr noch persönlich verabschieden. Nach der jähen Unterbrechung durch Corona war das dann doch noch ein versöhnliches Ende meines Auslandsschuljahres. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herr Dr. Schachner und Herr Dr. Sauer bedanken, dass Sie mir dieses Auslandsjahr in Faenza ermöglicht haben. Diese Erfahrungen bereichern mich nicht nur in diesem Moment oder für die nächsten beiden Jahren in der Oberstufe, sondern mein ganzes Leben lang. Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass Sie mir diesen Lebensabschnitt ermöglicht haben. Maximilian Nickert, Klasse 11

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