24.1. 2019, Die "Nacht der Physiker"

Ein 'schlafloser' Vortragsabend am LGH

Physik und deren politische Auswirkungen in der Geschichte bis heute

Kolloquium 2.0 Die folgenden Vorträge des Seminarkurses „Physikgeschichte“ erweisen sich als deutlich fesselnder als viele Vorträge an Abenden zuvor – eine gelungene Kombination aus dem subjektiven Vorteil, wenn das Publikum die Redner vorne tatsächlich kennt, Maras wahrlich fantastischem Kleidungsstil, und, das wird nicht vergessen, der naturwissenschaftich besonderen und historisch wie gesellschaftlich faszinierenden Thematik, an der am Schluss doch nahezu jeder Schüler etwas finden kann. So erhält man zunächst einen Überblick über die Aktivitäten und Organisation des Uranvereins und des Manhattan-Projects von Mara, wodurch man sich nahezu fähig fühlt, Heikos Ausführungen zur Motivation Heisenbergs und Oppenheimers, den beiden wissenschaftlichen Leitern der jeweiligen Projekte, zu folgen. Mit einem Grinsen werden dann beide Vorträge mit einem Zitat geschlossen – wobei Heiko hier das Fundament für spätere Fragen legt, während Mara uns mit einem Lachen sowie dem Gefühl dunkler Vorahnung entlässt. Also, 52 durch 1,5 mal… 1998 minus 1945… Von geschichtlicher Analyse geht es jetzt ans Eingemachte – mit objektiver Darstellung und subjektiver Wirkung. Frau Kubayeva präsentiert Zahlen und Fakten zu Atomwaffentests – und während bei der Menge an Staaten zur Durchführung noch höher geschätzt wird, übersteigt die Zahl an Atomwaffentest die Schätzungen der Schülerschaft locker um 100%. Trotzdem sind es Bilder, deren Wirkung auf die Schülerschaft dann auch gehört werden können – und einmal mehr beweisen, wie simpel unsere Empfindungen doch sind: Seufzer gehen durch die Menge, während die Druckwelle durch eine Schafherde geht. Ein Phänomen, das jedem Jurrassic-Park-Fan bekannt ist, der nicht mit der Wimper zuckt, bis der arme kleine Baby-Triceratops aus einem halben Meter Höhe vom Pterodaktylus auf den Boden fallen gelassen wird. Eigentlich sind wir doch eine ganz nette Spezies, mit einem sympathischen Faible für unschuldige flauschige Freunde – und für Macht. Vielleicht liegt da das Problem… Berufsdemonstrant Eingeleitet von einem Abriss des Kalten Krieges durch Herrn Heese geht das Wort an Herrn Nick – der der besprochenen Geschichte nun eine ganz reale Form gibt. Ein Zeitzeuge des Wettrüstens, und das merkt man auch: Beschreibungen werden ehrlicher, zugleich drastischer und ruhiger. Wer erlebt hat, der muss in seinem Vortrag nicht mehr bewusst betonen oder drastische Details aussparen. So prägt Herrn Nicks Vortrag eine Atmosphäre, die diesen Abend nicht mehr verlassen soll, und mich unwillkürlich an Texte von Heinrich Böll denken lässt. Unaufdringlich ehrlich heißt es über sie, wenn ich mir richtig erinnere. Auf in die Nacht Während hier der Vortragsabend für die meisten Schüler sein Ende fand, begann er für die rund 20-köpfige verbleibende Diskussionsrunde erst richtig – und fand für die Thematik einen Weg nicht nur in die Köpfe, sondern auch in ein mulmiges Bauchgefühl. Im lauschigen Stuhlkreis finden alle aufgekommenen Fragen Raum – egal, ob es um eine weiterführende Einschätzung der Mentalität durch Heiko oder die Funktionsweise der Wasserstoffbombe geht. Ins Mark geht es, als die Frage nach Pazifismus, die allen im Kopf, aber doch keinem sonst auf den Lippen liegt, ausgesprochen wird – von niemand anderem als Herrn Oganian. Und so sitzt man auf seinem leise quietschenden Stuhl und lauscht Herrn Oganian, den man sonst meist Trio-Zahlen und „Zu kompliziert!“ sagen hört, wie er von seinem Leben in der Ukraine, von harten Zeiten, von Angst und Desillusionierung spricht. Mit wem man nun Frieden schließen solle, das bleibt in der Luft und im Kopf aller hängen. Wenn dann der Schleier der west-europäischen Perspektive fällt, atmet man kalte, klare Luft. Bis leicht in die WG-Zeit.. Es ist keine leichte Diskussion, die da in der Aula im kleinen Kreis bis zur WG-Zeit geführt wird: Weder, wenn man sowohl in Herrn Oganians als auch in Herrn Nicks Worten nicht umhin kommt, Jahre der Erinnerung und Erfahrung zu hören, noch, wenn sich Frau Tsalastra-Greul energisch durch die Haare fährt, berichtend von eigenen schlaflosen Nächten. Jede Generation hat ihr Projekt, jede ein Thema, für das Schweiß und Tränen fließen. Aber was, wenn ein Problem nicht mehr zu Tränen rühren kann, weil es zu weit entfernt liegt? Beginnen alte Kräfte einen Krieg, während sich die junge Generation so etwas nur noch in Büchern und Filmen vorstellen kann? Egal ob gesellschaftliche Philosophie oder drängende Realität eines wankenden INF-Vertrages – die Diskussion hat viele Fragen und wenige Antworten. Aber sie zeigt Interesse, zeigt Bereitschaft, fernab von der gefühlten Apathie einer abgestumpften Gesellschaft. Damit zumindest kann man doch arbeiten. Was bleibt? Beim Rückweg ins Internat ist die weiche weiße Schnee-Stille um einen herum dann fast ebenso befremdlich wie passend: Viel zu ruhig und friedlich für das Besprochene, ebenso gedämpft und schwebend wie der eigene mentale Zustand. Es wäre gelogen, zu sagen, daheim, im warmen Internatsbett, wäre nicht der größte Teil meinerselbst wieder zurück im Geiste meiner Generation, geboren im gefühlt ewigen Frieden. Ebenso gelogen wäre es, täte man so, als könne ein solcher Abend genügen, um einen morgen gegen Atomwaffen auf die Straßen treten zu lassen – als könnte ein Abend dem Einsatz von Atomwaffen in unseren Köpfen die Realität verleihen, die er bei so vielen vor uns besitzt. Nicht gelogen, sondern zugleich schockierend und erleuchtend wahr ist es, zu sagen, dass der Abend Spuren hinterlassen hat wie wir im Schnee. Und selbst unter der dünnen Schicht neuer Flocken mögen sie für den Außenstehenden nicht erkennbar, aber dennoch nicht weniger real sein. Mir bleibt nichts anderes zurückzugeben als das, von dem ich hoffe, dass es auch von den Rednern, Organisatoren, Beitragenden als das ehrlichste Ziel betrachtet werden kann: Ihr Abend hat verändert. Herrn Schachner kann ich nur zustimmen – die Nacht mag noch nicht vorbei sein, aber statisch ist sie nicht. Veränderung wie diese findet statt – der Wirkungsgrad liegt also schon mal irgendwo über Null. Hoffen wir, dass es von hier nur noch heller wird – ach, was heißt hoffen. Sorgen wir dafür. Anika Corban, Klasse 12

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