Die zweite Woche der Sommerferien verbrachten wir, Mathilde Barth, Anna Wagner und ich, Helena Bhattacharyya in Tübingen. Als Gewinnerinnen des Fachschaftspreises Biologie der Klassenstufe 11 erhielten wir die Möglichkeit, fünf Tage lang an der Ferienakademie Neurowissenschaften teilzunehmen. Als wir am Montag im Schülerlabor in Tübingen eintrafen, hieß es erst einmal auf die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu warten.
Durch spannenden Lesestoff über das menschliche Gehirn, der uns bereits erste Einblicke in das Themenfeld der Neurowissenschaften gewährte, verging diese Wartezeit jedoch wie im Flug. Nach einem leckeren Mittagessen und Vorträgen von Studierenden über ausgewählte Themen ihrer Bachelor- oder Doktorarbeiten bekamen wir immer genauere Vorstellungen davon, womit sich die Neurowissenschaften beschäftigen. Da dieses Themengebiet jedoch unendlich groß ist und es uns Schülerinnen und Schülern unmöglich wäre, sind in nur fünf Tagen in alle Bereiche einzuarbeiten, hieß es anschließend, sich einer Gruppe zuzuordnen, deren Arbeitsthematik einem am spannendsten erschien. Auch wenn selbstverständlich alle Gruppenthemen sehr interessant klangen, erleichterte einem das Wissen, am Ende der Woche durch Präsentationen aller Gruppen Einblicke in alle Themenbereiche erhalten zu können, die Entscheidung enorm. Während sich Anna und ich mit Bioelektrizität auseinandersetzten, entschied sich Mathilde für die Gruppe „Eye Tracking“. Der Montagabend endete nach dem Einchecken in die Jugendherberge und dem dortigen erstmaligen Abendessen mit einer Stadtführung von Prof. Dr. Uwe Ilg, dem Leiter des Schülerlabors. Uwe, wie wir ihn nennen durften, zeigte uns nicht nur die Stadt Tübingen und spendierte uns ein Eis, sondern war während der gesamten Woche stetiger Ansprechpartner und immer für uns alle da.
Am Dienstag startete der Tag der Gruppe „Bioelektrizität“ mit Versuchen mit dem Gnathonemus petersii (Elefantenrüsselfisch), einem schwach elektrischen Fisch. Dieser besitzt ein elektrisches Organ, mit dem er um sich herum ein elektrisches Feld erzeugt. In unterschiedlichen Experimenten versuchten wir dieses elektrische Feld zu messen, dessen Nutzen herauszufinden und das elektrische Organ zu lokalisieren. Selbstverständlich lag uns dabei das Tierwohl am Herzen und so verliefen all unsere Experimente mit Vorsicht und wir achteten stets darauf, unseren Fisch gut zu behandeln. Am Nachmittag trafen wir einige Wissenschaftler, die uns von ihrer aktuellen Forschung erzählten. So erfuhren wir, wie wir mit dem Finger tasten können und wie daran momentan weiter geforscht wird. Anschließend befassten wir uns mit einer wissenschaftlichen Publikation und konnten so hautnah sehen, wie neue Erkenntnisse gewonnen werden. Wer den Grundstein der Neurowissenschaften legte, lernten wir am Abend während des Films „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“, der Autobiographie des Neurowissenschaftlers und Nobelpreisträgers Eric Kandel.
Am Mittwoch beschäftigte sich die Bioelektrizitäts-Gruppe mit einer weiteren schwach elektrischen Fischart, Eigenmannia. Wir verglichen das elektrische Feld des Eigenmannia mit dem des Gnathonemus petersii vom Vortag und führten anschließend Experimente durch, um herauszufinden, wodurch die Frequenz der ausgesendeten Signale beeinflusst wird. Hierfür mussten wir unseren Fisch erst einmal in seinem Aquarium fangen, was leichter geschrieben als getan ist.
Am Nachmittag ließen wir den Eigenmannia wieder in sein Aquarium zurück und besuchten das Institut für Neurobiologie in Tübingen. Dort stellten uns vier Arbeitsgruppen ihre aktuellen Forschungsbereiche vor wie beispielsweise zum Erlernen einer Sprache bei Singvögeln. Während Uwe am Abend als Stocherer den voll besetzten Stocherkahn den Neckar entlang steuerte, konnten wir Tübingen aus einer ganz neuen Perspektive bestaunen. Trotz der Tatsache, dass auch wir das Stochern ausprobieren durften, blieben an diesem Abend alle trocken.
Am Donnerstag beschäftigte sich unsere Gruppe mit der Elektromyographie (EMG), bei der mithilfe von Elektroden, die auf einem Muskel angebracht werden, die elektrische Aktivität der Nerven gemessen wird, die diesen Muskel innervieren. Auf diese Weise konnten wir die Zeitspanne messen, die wir selbst benötigen, um auf einen bestimmten Reiz zu reagieren. Auch die Elektromuskelstimulation (EMS) konnten wir selbst ausprobieren. Hierbei werden Nerven durch ein elektrisches Feld, das beispielsweise von einer Binde am Arm erzeugt wird, stimuliert. Dadurch kommt es zu unwillkürlichen Muskelbewegungen, die ohne Verschaltung mit dem Gehirn oder mit dem Rückenmark entstehen, was durchaus amüsant zu sehen sein kann. Der Nachmittag war mit einem spannenden Vortrag über Robotik und Rehabilitation gefüllt. Uns wurde anschaulich gezeigt, wie all das Wissen und die Erkenntnisse, mit denen wir uns die letzten Tage über beschäftigt hatten, tatsächlich Anwendung finden können. Unser letzter Abend endete mit Gesellschaftsspielen mit Blick auf den Neckar.
Nachdem wir uns in den letzten Tagen ausführlich mit unserem jeweiligen Gruppenthema befasst hatten und in den Pausen und am Abend auch von dem ein oder anderen Erlebnis der anderen Gruppen gehört hatten, freuten wir uns am Freitag als Abschluss auf die spannenden Gruppenvorträge. So hatte sich die Gruppe des vegetativen Nervensystems mit dem Einfluss des Nervus vagus auf den Parasympathikus und den Sympathikus beschäftigt, die Anpassung der Herzfrequenz und der Sauerstoffsättigung nach einer sportlichen Belastung untersucht und ein Lammhirn seziert. Die Gruppe „Eye Tracking“, in der auch Mathilde war, hatte die Augenbewegungen von Versuchspersonen aufgezeichnet, zu denen auch wir zählten. Während wir auf einem Bild vergeblich nach einem Chamäleon suchten, Schmetterlinge zählten oder versuchten, einen altgriechischen Text vorzulesen, wurde unsere Blickposition dabei von einer Kamera genau erfasst. Auch die Zeit, die die Augen benötigen, um von einem Punkt zu einem anderen zu springen, wurde gemessen. Die Gruppe „Lernen und Gedächtnis“ beschäftigte sich mit dem motorischen Lernen. Dabei wurden Dartpfeile möglichst nah an eine markierte Linie geworfen und die Ergebnisse mit denen verglichen, die mit einer aufgesetzten Brille entstanden, die die markierte Linie vermeintlich um einige Zentimeter verschob. Nach dem Absetzen dieser Brille wurde das Spiel wiederholt, wodurch die Anpassung an die Brille und damit der motorische Lernprozess erkennbar wurde.
Während die Gruppe des Lernens und des Gedächtnisses im nächsten Jahr vermutlich an der Darts-WM teilnehmen wird, die Gruppe des vegetativen Nervensystems eine Chance auf einen Posten als Neurochirurgen hat, die Gruppe des Eye Trackings nun genau erkennt, wer kurz vor dem Mittagessen verstohlen auf die Uhr blickt und die Gruppe der Bioelektrizität in den Gewässern des Nils und des Río de la Plata auf Entdeckungsreise gehen kann, konnten wir während dieser Woche in Tübingen, ungeachtet der Gruppe, alle unvergessliche Erfahrungen im Bereich der Neurowissenschaften sammeln. Die unterschiedlichen Gruppen zeigen uns lediglich, wie vielfältig dieser Bereich ist. Daher ist es umso lehrreicher, durch die Gruppenpräsentationen, Vorträge und Gespräche mit Forschenden mehrere Facetten dieser allseits präsenten Wissenschaft kennengelernt zu haben. Die Einblicke dieser fünf Tage werden uns – sofern unser Gedächtnis dies zulässt – noch lange in Erinnerung bleiben.
Abschließend möchten wir drei uns ganz herzlich bei Uwe bedanken, der diese Woche erst zu der Woche machte, die sie letztlich war. Auch der Fachschaft Biologie, die uns die Teilnahme an der Ferienakademie erst ermöglichte, sprechen wir unseren herzlichen Dank aus.
Helena Bhattacharyya (Klasse 12)